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Lebe wohl. Friedhof der Zukunft.
Ideenwettbewerb für eine neue Friedhofskultur in der Stadt, 2002
Nekrolith 01 – Eine neue Bestattungsform

Allgemeine Grundlagen

Trotz aller Sicherheitsbestrebungen ist unser Leben doch grundsätzlich von einer Fülle an Unsicherheiten erfüllt – wir haben jedoch alle nur eine einzige, zeitlich allerdings nicht definierte absolute Sicherheit: den Tod.
Diese Sicherheit verdrängen wir allerdings immer mehr aus unserer Alltäglichkeit – und wenn uns das Sterben begegnet wird deutlich, wie hilflos wir dieser Sicherheit begegnen – wir sind überrascht oder hilflos.
Nach einer Zeit des (kollektiven und individuellen) Trauerns versinkt der Verstorbene doch häufig wieder in der Anonymität, der Tod wird wieder verdrängt, auch ... "in der verwandelnden Form als Mythos" (1) wird er kaum mehr besprochen.
Verbindliche Rituale und die vermeintlichen Sicherheiten der Kirchen, die lange Zeit orientierend wirken konnten, sind nicht mehr selbstverständlich präsent, gleichzeitig scheinen Verordnungen und Vorschriften auch noch den Tod verstärkt zu bürokratisieren.
Zusätzlich scheint der Friedhof als "religiöser Raum" und als "Ort des Gedenkens der Toten" aber auch als öffentlicher Raum der Begegnung im Umbruch.
Vor nicht allzu langer Zeit war z. B. der "Campo Santo" im Baedeker als Sehenswürdigkeit empfohlen, genauso wie die Kathedrale San Lorenzo oder verschiedene Palazzi (2), bei den Friedhöfen des 20. Jahrhunderts werden Empfehlungen jedoch weit schwieriger (ausgenommen z. B. Scarpas "Grabmal Brion" (1969–1978) oder Snozzis Intervention im Friedhof von Monte Carasso (1983–1990) oder der Friedhof in Igualada von Miralles (1985–1991).
Es erscheint nicht leicht, an die Tradition dieser "geweihten Räume" direkt anzuknüpfen – wir sollten sie jedoch auch als öffentliche Räume begreifen, die auch ohne Traueranlass zu betreten sind. Friedhöfe, oft als flächiges Umfeld an eine Kirche angeordnet, setzen sich unter deren Böden fort, werden allerdings selten (insbesondere in unserer Region) über die Grabsteine hinaus als räumliches Gebilde wirksam.
Bestehende Ikonographien wie der Kirchturm, die Friedhofswand, die Trauerweide oder die dunkle Eibenhecke sind immer noch eindeutige Zeichen, sollten jedoch im Rahmen neuer Bedürfnisse überdacht und neu interpretiert werden können.

Der Ort
oder: vom vergessenen Ort zurück in das Herz dieser Stadt

Der lange Zeit sich selbst überlassene Raum zwischen den Verkehrssträngen wird im Rahmen einer städtebaulichen Strategie als wichtiger "Stadteingang" (und -ausgang) für Stuttgart verstanden und mit seinen Nachbarschaftsräumen (Friedhof Zuffenhausen und dem westlichen Grünraum) neu verknüpft.
Der Ort selbst, mit seiner doch einprägsamen Eigenart und Spontanvegetation, wird weitgehend belassen, lediglich durch ordnende Streifen und den geschwungenen Weg (der sich auch selbstbildend zwischen den Einstellungen ergeben kann) neu interpretiert und vernetzt.
Ein "ausgesperrtes" Stück Stadt wird somit Bestandteil des städtebaulichen Stadtnetzes und damit auch integraler Bestandteil des alltäglichen Lebens.

Das Objekt
oder: der Nekrolith 01

Verstärkt wird die Feuerbestattung und damit die flächenextensivere Urnenbestattung praktiziert – insbesondere im städtischen Raum.
Hierzu hat sich als Sonderform die Wandbestattung in Urnennischen (Kolumbarien) sowie das (ggf. anonyme) Urnengrab in einer Urnenwiese entwickelt.
Bei der bestehenden Erdbestattung entstehen neben einem hohen Flächenverbrauch erneut Fragestellungen im Hinblick auf eine Belastung des Grundwassers, eine Verseifung des Bodens und damit zusammenhängend eine ungelöste würdenvolle langfristige Bestattung der Toten.
Auf diesen Grundlagen wird für den hier vorliegenden städtischen Ballungsraum ein skulpturales Objekt vorgeschlagen, das in seiner formalen Einzigartigkeit einerseits eine unverwechselbare Eindeutigkeit vorträgt, andererseits die Fähigkeit besitzt, sich durch seine Ausgestaltung als vielflächiger Körper den unterschiedlichsten Orten und auch topographischen Bedingungen anzupassen.
Ergänzend zu anderen, auch bestehenden Bestattungsformen wird bei diesem Beitrag die Feuerbestattung als richtungsweisende Bestattungsform vorgeschlagen.
Über vorgesehene runde Öffnungen werden lange Edelstahlrohre als Urnenbehältnisse eingeschoben und entsprechend sicher arretiert.
Namen, Geburtsdaten auf der einen und Sterbedaten auf der anderen Seite kennzeichnen das einzelne Behältnis.
Anonyme Belegungen können im Bereich der nicht einzusehenden Seiten etabliert werden.
Dieses einzigartige Objekt, der "Nekrolith 01" wird an diesem Ort, eingebettet zwischen den Verkehrsadern etabliert, so dass er auch von den Auto- oder Zugreisenden zu sehen ist.
Er kann sich aber auch an anderen Orten "niederlassen", sei es im Bereich der Sünderstaffel, der Rotebühlstrasse oder direkt im Herzen dieser Stadt, dem Schlossgarten, dem Schlossplatz: der Tod als einzige Sicherheit des Lebens wird wieder verstärkt im Alltag integraler Bestandteil der Stadt und des Lebens.
Die unterschiedlichen Farben des Nekrolith 01 unterstreichen diesen Aspekt – Trauer oder Besinnlichkeit kann auch ohne die Farbe schwarz auskommen.
Nach einer evtl. fixierten Belegungszeit kann der Nekrolith 01 als Einheit z. B. zum Wiederaufbau von Korallenriffen oder anderen, würdigen aber auch nachhaltigen Aufgaben dienen.

(1) aus: Michael Ruetz: Nekropolis, Karl-Hanser Verlag, München, 1987
(2) aus: Isolde Ohlbaum: Denn alle Lust will Ewigkeit, Greno Verlagsgesellschaft, Nördlingen, 1986


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